Hinter_der_Hacke_is's_duster - KulturAS, wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen

2024/2025
wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen
Sulzbach-Rosenberg/Feuerhof
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Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
„Hinter der Hacke is's duster“

Diesen Spruch hat Bergwerksdirektor Beckenbauer während eines Gesprächs mit mir oft wiederholt. Erst später wurde mir klar, was er damit meinte: Bergbau ist nur bedingt planbar. Das zeigt ein „Bericht über den Wassereinbruch im südlichen Vortrieb der Hauptförderstrecke von Großenfalz in Richtung Sankt-Anna-Schacht am 26.04.1961“ . Mit der Verbindung sollte das ca. 300.000 t umfassende Erzfeld Großenfalz, vom St.-Anna-Schacht her aufgeschlossen werden.

Dabei muss man wissen, dass bereits in den Dreißigerjahren versucht worden war, von der Grube Fromm aus dieses Erzfeld zu erschließen. Das hatte im Jahr 1939 einen riesigen Wassereinbruch zur Folge. Dabei wäre beinahe die Grube Fromm völlig abgesoffen.  Der Einbruch ging bis zur Oberfläche durch. Unterhalb des Feuerwehrhauses in Großenfalz bildete sich eine große Pinge, die über viele Jahre offen war.


Untergrund bei Großenfalz/Etzmannshof (schematisch)


Die Bergbaudirektion war also schon gewarnt, dass sich hier sich im Kalk, der ab etwa 60 m Tiefe beginnt, immer wieder Hohlräume, sog. Schlotten, befanden. Wurden sie beim Streckenvortrieb, schossen der darin enthaltene Schlamm oder Wasser mit sehr hohem Druck heraus und rissen alles mit, was im Weg war. Kein Wunder, schließlich standen bis zu 70 oder mehr Meter Wasser/Sandgemisch in diesen „Hohlräumen“. So entstand pro 10 m Wasserstand ein Druck von 1 bar, bei 60 – 70 m 6 – 7 bar. Das ist fast so hoch wie der maximale Druck in der Sulzbacher Wasserleitung .
Da bekannt war, dass das Gebiet problematisch wurde, hat man die Ortsbrust immer wieder auf eine Länge von 20-25 m vorgebohrt und geschaut, ob aus diesen Bohrungen Wasser drang. Das bot eine gewisse Sicherheit. Wenn die Bohrlöcher allerdings nur im festen Gestein vordrangen, während sich der Hohlraum mit Wasser nur wenige Zentimeter daneben befand, half das ganze Vorbohren nichts. Kein Bergmann und kein Steiger wussten, was sie erwartete, wenn sie die Ortsbrust absprengten.

So war es auch beim Streckenvortrieb, ca. 452 m vom Schacht Großenfalz in Richtung Sulzbach. Beim Abbohren der Ortsbrust trat um 3:45 Wasser mit hohem Druck aus, zunächst ca. 80 l pro Minute, die auf 18 l/min zurückgingen. Immerhin war man gewarnt.
Zur Sicherheit wurden 2 weitere Löcher mit 20 bzw. 25 m Länge gebohrt und weitere 7 mit 2,60 m. Es kamen nur 24 l/Minute Wasser =  2 1/2 Eimer pro Minute. Das ist für ein Bergwerk gar nichts. Man verpresste die Löcher mit einem Gemisch aus 134 Ztr., Zement und 21 Ztr. Ton. Nach 24 Stunden war die verpresste Masse ausgehärtet und nun wurde der Abschlag mit insgesamt 37 Sprenglöchern, jeweils 1,90 m lang, fertig gebohrt. Dabei sickerte aus keinem Wasser. Am 26. 4. 1961 um 10:15 Uhr wurden die geladenen Bohrlöcher gesprengt und eine sofortige Besichtigung durch den Obersteiger ergab, dass kein Wasser gelöst wurde. Nur in der Firste, also oben an der Ortsbrust, war eine ovale mit trockenem Sand und Ton gefüllte Kluft mit etwa 70 – 80 cm Durchmesser. Weil die Grubenleitung in diesem Streckenbereich ohnehin Probleme fürchtete, sollte die Kluft für den weiteren Vortrieb so schnell als möglich verschlossen und abgesichert werden. Aber durch irgendeine Ursache kam das Sand-Tongemisch in Bewegung langsam und dann immer schneller. Um 10:35 Uhr, also nach 20 Minuten wurde mit einem Schlag, der das Gebirge erschütterte, ein etwa ein Meter langer Pfropfen aus der Kluft herausgepresst und dann brach das Wasser mit unglaublicher Wucht aus der Öffnung hervor. Man muss sich einen Wasserstrahl mit einem Durchmesser von 70 – 80 cm und hohem Druck vorstellen. Dem ist niemand gewachsen!


Kluft mit Öffnung in eine Schlotte (Schlotte ist eine natürliche Höhle im Karstgebirge)

Der Einbruch war so gewaltig, dass zeitweise mehr als 100 cbm Schlammwasser pro Minute (!) austraten, das entspricht fast zwei Sattelschlepper pro Minute!  So waren nach kurzer Zeit ca. 3000 cbm (entspricht 50 Sattelschlepper) Schlamm in der Strecke angehäuft waren.


Dieser Sattel-Auflieger fasst 60 cbm. Hundertmal so viel flossen, in einer Stunde, in die Strecke.

Die ausbrechenden Wassermassen überfluteten in etwa einer Stunde auch die ganzen angrenzenden Grubenräume mit einem Inhalt von ca. 6000 m³. Der Wasserzufluss erreichte zeitweise über 100.000 l/min. Weil das Wasser nicht in Richtung Annaschacht abfließen konnte, lief die Strecke zum Schacht hin voll, war also innerhalb kurzer Zeit komplett abgesoffen, wie der Bergmann sagt.

Doch nicht genug, dieses aus etwa 70 m Höhe herabstürzende Wasser aus der Schlotte, verursachte mehrere heftige Gebirgserschütterung und Luftstöße. Die Karbidlampen der Bergleute wurden ausgeblasen. Die Mannschaft vor Ort konnte in letzter Minute flüchten. Die Bergleute rannten um ihr Leben, die Richtstrecke hinauf, verfolgt vom schnell steigenden Wasser. Man stelle sich vor, tiefe Finsternis! Unter den Stiefeln gurgelt schon das Wasser und droht einem die Füße wegzuziehen!
Die Flüchtenden schafften es nicht mehr, die Dammtüre  zum Schacht Großenfalz vollständig zu schließen. Es war bereits zu viel Schlamm über die Schwelle gelaufen. Trotzdem hatten sie mehr Glück als Verstand, wie sie nachher sagten. Alle erreichten ohne Verletzungen den Schacht.

Plötzlich, kurz vor 12:00 Uhr hörte der starke Wasserzufluss schlagartig auf. Die Schlotte war leergelaufen. Das Wasser stand 3 m über der Füllortsohle (Boden des Schachtes). Durch eine Zielbohrung von der Tagesoberfläche in die Schlottenzone wurden große Mengen Zementmörtel hineingepresst. Damit gelang es, den zwar geringeren aber immer noch anhaltenden Wasserzufluss unter Kontrolle zu bringen. Noch bis Oktober 1961 hielten die Sanierungsarbeiten unter Tage an. Der inzwischen verrohrte Wasserzufluss wurde aus Sicherheitsgründen über einen langen Zeitraum beaufsichtigt.

Schwimmsandeinbruch für Laien: Der alte Obersteiger Ludwig Ritter hat mir einmal anschaulich erklärt, wie ein Schwimmsandeinbruch entsteht: Man stellt sich eine große Plastiktüte vor, wie sie zum Einkaufen verwendet wird. Sie ist randvoll mit Wasser gefüllt und unten hat sich eine dicke Schlammschicht abgesetzt. Sticht man mit einer Stricknadel unten in die Tüte, läuft zuerst langsam der Schlamm heraus. Das Loch wird größer und der Schlamm, zunehmend mit Wasser vermischt, fließt immer schneller und stärker. Das Loch lässt sich weder zuhalten noch verstopfen. Das Wasser spritzt so lange heraus, bis der Beutel leer ist.

© Helmut Heinl 4/2022

I  Die Daten stammen aus einem Bericht von Bergwerksdirektor Beckenbauer vom 27.4.1961 an den Vorstand der MH.
II So nennt es der Bergmann, wenn ein Hohlraum vollläuft, egal ob Strecke oder Schacht.
III Maximaler Druck lt. Stadtwerke SUL im Bachviertel mit 9-10 bar (Höhendifferenz Hochbehälter Annaberg/Bachviertel)
IV Sattelzugmaschine 38 t sowie Lkw 26 t (40 t) mit Kran, Abrollcontainer und Anhänger mit Abrollcontainer mit einem Ladevolumen von bis zu 60 cbm.
V Sicherheitstor, für Strecken, in denen mit einem  plötzlichen Wassereinbruch gerechnet werden musste. Dimensionen z.B.: 1800 X 1350  80 cm stark; 1500 kg. Türblech/Rahmen: 2670 X 1970  40 cm stark; Gewicht 2.000 kg

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