Mit Luft gesprengt - KulturAS, wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen

2024/2025
wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen
Sulzbach-Rosenberg/Feuerhof
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Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
Mit Luft gesprengt.

Was man sich als Laie kaum vorstellen kann, war in der Zeit des Ersten Weltkriegs in den Sulzbacher Gruben übliche Praxis. Es wurde mit flüssiger Luft gesprengt. Das Verfahren war aus der Not geboren, weil das für die Herstellung von Dynamit notwendige Nitroglyzerin erschwerten Einfuhrbeschränkungen unterlag.
Flüssige Luft hingegen war beim Vorliegen der technischen Ausstattung unbegrenzt verfügbar, wenn auch nicht so einfach zu verwenden als die üblicherweise verwendeten Sprengpatronen.
Zum Herstellen flüssiger Luft wurde – vereinfacht ausgedrückt – eine Kühlmaschine benötigt, bei der die Luft durch Abkühlen und gleichzeitiges Komprimieren in einem Verdichter zunächst auf 200 bar komprimiert und dann abgekühlt wurde. Wird dieser Prozess entsprechend oft wiederholt verflüssigt sich ein Teil der Luft. Diese flüssige Luft hat eine bläuliche Farbe und eine Temperatur von etwa -196°. Als Sprengstoff aufbereitet war es unter der Bezeichnung Oxyliquite bekannt.

Um Sprengpatronen herzustellen, musste saugfähiges Material (z. B.), wie Holz- oder Korkmehl in die flüssige Luft getaucht werden, bis es gesättigt war. Die so entstandenen Patronen mussten dann schnell in die Sprenglöcher geschoben und umgehend gezündet werden. Andernfalls verdunstete die Flüssigkeit in die Umgebungsluft, die Patronen waren nicht mehr explosiv.

Dennoch war der Aufwand mit diesem Explosivstoff relativ groß. Die extrem kalte, flüssige Luft musste in sehr gut isolierten Behältern von der Kältemaschine nach unter Tage transportiert werden. Beim Umgang mit der Flüssigkeit war höchste Vorsicht geboten, es durfte keine offene Flamme in der Nähe sein und bei Berührung entstanden auf der Haut Brandwunden.
Um die Transportwege möglichst kurz zu halten, wurde in Sulzbach die Anlage zur Erzeugung flüssiger Luft in einem Anbau an das Fördermaschinenhaus des Klenzeschachtes, auf Grube Karoline aufgestellt. Dazu erteilte die königliche Berginspektion Bayreuth am 19. Oktober 1915 die Genehmigung. Diese galt für die drei Sulzbacher Eisenerzgruben Karoline, Etzmannsberg und Fromm und war mit umfangreichen Auflagen verbunden. Das zeigte, die Sache war gefährlich. Die Apparate zur Herstellung der flüssigen Luft durften nur von zuverlässigen Personen betrieben werden. Ihre Namen waren dem Bergamt anzuzeigen und ins Zechenbuch einzutragen. Die Herstellung von Sprengpatronen sowie das Laden, Besetzen und Wegtun  der Sprengschüsse durften nur durch Ortsälteste oder Schießmeister geschehen.
Sie erhielten eine eigene Dienstanweisung des Betriebsleiters, die von der Berginspektion noch einmal genehmigt werden musste . Man war sich also bewusst, dass Sprengarbeiten mit diesem Medium besonders risikobehaftet waren, vor allem, weil es anders behandelt werden musste als die bisher verwendeten Chlorat-Sprengstoffe. Kriegsgefangene durften bei Sprengarbeiten mit flüssiger Luft und bei deren Herstellung ausdrücklich nicht verwendet werden.

Ferner schrieb die königliche Berginspektion Bayreuth in Person des „Kgl. exponierten Bergamtsassessors“ vor, dass die Steiger bzw. die sie vertretenden Aufseher die Kontrolle über die Herstellung und Verwendung des Sprengmittels haben mussten. Natürlich war über den Verbrauch der Patronen und Kapseln genau Buch zu führen, obwohl diese nach kurzer Zeit, wenn die flüssige Luft verdunstet war, keinerlei Wirkung mehr hatten.

So lange das Sprengmedium allerdings flüssig war, blieb es hoch gefährlich. Deswegen durften in der Nähe der Behälter keine brennbaren, aufsaugenden Stoffe, wie Filz, Holzwolle usw. gelagert werden.

Dazu gibt es eine Geschichte aus der Sauerstoffanlage der Maxhütte, wo flüssige Luft und flüssiger Sauerstoff für den Verhüttungsprozess in großen Mengen hergestellt wurden. Dort sollte eines Tages einer Gruppe von Werksstudenten die Gefährlichkeit von flüssiger Luft demonstriert werden. Man füllte etwas davon in einen Blecheimer – wahrscheinlich zu viel - und warf ein Stück Putzwolle hinein. Das Ergebnis war eine heftige Explosion, die den Eimer in die Glasfenster schleuderte. Glücklicherweise ist niemand verletzt, aber ab da wurden derartige Demonstrationen verboten.

Doch zurück, zur Arbeit in den Gruben. Hatten sich die Patronen mit flüssiger Luft vollgesaugt, mussten sie schnell in die Bohrlöcher geschoben und das Bohrloch verschlossen werden. Auch die Zündung musste schnell gehen, um austretende Gase zu verhindern.

Flüssige Luft war aber teilweise sicherer als z. B. Chloratsprengstoffe, da sie weniger empfindlich gegenüber Stoß, Reibung und Funken war. Außerdem, hatte einmal ein Schuss nicht gezündet, musste man nur 15 - 20 Minuten warten und konnte dann die Patrone völlig gefahrlos aus dem Bohrloch holen.

Dennoch wurde dieser Sprengmittel nach Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr weiter verwendet, da es umständlich zu verwenden, in der Vorbereitung teilweise gefährlich und damit für einen reibungslosen Betrieb nicht optimal geeignet war.

Inzwischen hatte sich auch die Sprengstofftechnik weiter entwickelt. Es gab deutlich sicherere Sprengpatronen, die gegen Stoß, Reibung und Schlag unempfindlich waren und nur durch spezielle Zünder zur Explosion gebracht werden konnten.


© Helmut Heinl 1/2024

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