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"Leben in der Bergmannssiedlung"
Der Papiermüllner und der Praktikant,
eine Geschichte, erzählt vom Pfeiferlsteiger
Der
„Papiermüllner“ soll eigentlich ein recht friedfertiger, aber
verschlossener Kamerad gewesen sein. Wie viele Bergleute war er groß und
kräftig gebaut und seine Fäuste ließen erkennen, dass er zupacken
konnte. Eines konnte der Bergmann allerdings nicht vertragen: wenn man
ihn bei seinem Spitznamen rief. Es hatte sich auf der Grube Karoline
schon herumgesprochen, dass man ihn damit bis zum Äußersten reizen
konnte. Dazu nutzten die Kameraden natürlich jede Gelegenheit. Mit der
Zeit hatte sich die Wirkung des Reizwortes so gesteigert, dass es
genügte, dem Papiermüllner einen Fetzen Papier zu zeigen. Dann war es
allerdings das Beste, sofort möglichst schnell davonzulaufen und sich
gut zu verstecken.
Eines Tages sollte der
Markscheider, der Vermessungsingenieur im Bergbau, vom Bergamt Amberg
einfahren, um eine Strecke (Stollen) zu vermessen. Der Pfeiferlsteiger,
ein „ Oarzgrowa“, der nie um einen Streich verlegen war, sollte den
Markscheider führen. Denn er kannte sich im weitverzweigten
Grubengebäude aus (so heißen die ganzen Wege und Orte unter Tage) und
wusste die einzelnen Vermessungspunkte.
Ein
Praktikant, dessen Vater Bergrat im Bergamt war, sollte den beiden als
Helfer zur Hand gehen. Für den Pfeiferlsteiger eine Gelegenheit, dem
Papiermüllner wieder einmal einen Streich zu spielen. Nachdem die
Vermessung beendet war, lud er sich das Vermessungsgerät auf, denn der
Markscheider als Respektsperson brauchte nichts tragen. Dann zog er noch
einen Zettel aus der Tasche, drückte ihn dem Praktikanten in die Hand
und sagte ihm, er solle den Zettel einem Bergmann geben, den sie dort
auf der Strecke treffen würden. Er werde den Mann schon erkennen, wenn
er ihn grüßen werde. Er selber wolle nichts mit dem zu tun haben, da er
sich nicht mit ihm vertrage.
Dann ging er mit dem Markscheider in Richtung Schacht voran.
Als
sie zu dem Mann kamen, grüßte ihn der Pfeiferlsteiger mit „Glück auf“
und einem kräftigen Kopfnicken. Dabei sah er den Praktikanten an. Dieser
wusste Bescheid, ging auf den Bergmann zu und hielt ihm den Zettel hin.
Der Papiermüller warf sofort die Schaufel weg und schrie den Jungen an:
„Rotzlöffl, hau bloß ab mit dei'm Fetzn!". Der Junge, ahnungslos, rief
dem Papiermüllner zu, er solle doch den Zettel nehmen. Da war es schon
geschehen! Der Papiermüller haute dem Praktikanten links und rechts eine
hinein, dass es nur so knallte. Der arme Junge wusste gar nicht, wie
ihm geschah! Und ehe er erkannte, was los war, hatte er schon wieder
zwei erwischt. Endlich reagierte er, lief davon und der vierschrötige
Mann lief ihm noch ein paar Meter unter wüsten Beschimpfungen nach.
Völlig
verstört holte der Junge den Bergmann mit dem Markscheider ein und
erzählte ihnen was passiert war. Der Markscheider war ganz entrüstet,
fragte den Pfeiferlsteiger, ob der Mann wohl verrückt sei, weil er den
Praktikanten einfach geschlagen habe. Darauf wusste dieser natürlich
auch keine Antwort und meinte nur, ein recht komischer Kerl sei dieser
Mann schon immer gewesen.
Bei der nächsten
großen Veranstaltung des Bergknappenvereins hielt der Vater des
Praktikanten die Festrede. Die Feuerwehrkapelle Großenfalz, bei der der
Pfeiferlsteiger mitspielte (daher der Spitzname Pfeiferlsteiger), hatte
die musikalische Umrahmung übernommen. Als der Bergrat den Mann
erkannte, schob er sich zwischen den Musikern hindurch auf ihn zu und
schüttelte ihn lachend an den Schultern. Augenzwinkernd fragte er ihn,
wie es gekommen sei, dass sein Sohn ein paar Ohrfeigen bekommen habe. Er
kannte nämlich den Erzgräber schon von einer anderen Geschichte her.
Der hat ihm dann den wahren Hintergrund erzählt und beide haben herzlich
gelacht.
© Helmut Heinl 2021