Die Oarzgrowa Spezialprise - KulturAS, wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen

2024/2025
wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen
Sulzbach-Rosenberg/Feuerhof
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Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
Die Oarzgrowa Spezialprise

Der Pfeiferlsteiger war immer für einen Scherz gut. Beliebte Objekte für ihn waren Neulinge unter Tage und besonders Praktikanten. Die letzten waren teilweise reichlich naiv und hatten nach den ersten Semestern noch großen Respekt vor den bergmännischen Kenntnissen der Gruppe, der sie zugeteilt waren.
Der Genannte war, wie viele seiner Kameraden, dem Schmai sehr zugetan. Denn bis zum Zweiten Weltkrieg durfte man in den Sulzbacher Gruben nicht rauchen. Mit diesem rauchlosen Tabak trieb er auch seine Scherze. Ein beliebter Spaß war, Praktikanten zu einer ordentlichen Prise zu überreden. Die armen Jungen, die vorher in ihrem Leben nie geschnupft hatten, mussten heftig niesen und bekamen tränende Augen, vom braunen Ausfluss aus der Nase ganz zu schweigen.
Unter Tage und vor Ort, galt allerdings in solchen Dingen, oft das „Gesetz der Männergesellschaft“. Keiner wollte Schwäche zeigen und klein beigeben. Das mussten auch die Bergneulinge erfahren. Einige schafften es nach etwas Übung, ähnlich große Prisen hinauf zu ziehen, wie die Bergleute. Andere waren klüger und gaben auf, auch wenn ihnen das den Spott der Kameraden zuzog.

Einer war dabei, der regelmäßig niesen musste, zu Erheiterung der Arbeitskollegen. Deswegen boten sie ihm immer wieder eine Prise an. Eines Tages las der in der Gewerkschaftszeitung, wie ein Bergmann aus dem Ruhrgebiet in Bayern Stammtischgäste hereingelegt hatte. Der Mann aus dem Pütt hatte in Oberbayern Urlaub gemacht und kam dort mit Schnupfern vom Stammtisch zusammen. Er durfte sich zwar an den Stammtisch setzen, aber er hatte den Eindruck, dass die gut situierten Herren ihn als Bergmann schon etwas abwertend behandelten. Es gab eine Diskussion ums Schnupfen und der Bergmann wollte sie wenigstens da übertrumpfen. Dazu mischte er sich eine besonders kräftige Brise, die den Herren am Stammtisch dann tatsächlich das Wasser in die Augen trieb.

So etwas wollte der Praktikant auch machen. In den zwei Wochen Urlaub vom Schacht versuchte er zu Hause seine Nase an das aromatische Pulver zu gewöhnen. Es dauerte gar nicht lange, da zog er schon eine ordentliche Prise in jedes Nasenloch, die sich von denen der Oarzgrowa kaum unterschied. Das erzählte er, samt der Vorgeschichte, stolz seinem alten Schulfreund, der jetzt Pharmazie studierte. Der kannte sich aus und besorgte ihm ein Gramm „Habanero“ Chili-Pulver, geruchlos aber wirkungsvoll. Beim Ottmann kaufte er sich 2 gleiche Schnupftabaksdosen und den Tabak dazu. Den Tabak in der einen Dose „veredelte“ er mit etwas Pulver und in der anderen Dose blieb er naturbelassen. Um die Dosen unterscheiden zu können machte er sich auf eine ein Batzl „Uhu Alleskleber“. So konnte er in der Hosentasche auswählen, welche Prise er austeilte.

Als er nach dem Urlaub, am Montag, wieder in der Frühschicht anfuhr, gönnten sich die Kameraden bei der Besprechung der anstehenden Arbeiten wieder eine kräftige Prise. Dann kam die obligatorische Frage: „Na Herr Studiosus, vatrong ma a Pris heint"? Selbstverständlich zog der angehende Bergingenieur seine Dose aus der Tasche und zog eine Prise hinauf. - Keine Reaktion. Der Junge steckte die Dose wieder in die Tasche. Die Umstehenden waren erstaunt – und witterten Verrat: "Wahrscheinlich wiad a´sa so a Milchpulver zamagmischt hom"! Der Pfeiferlsteiger meinte: "Wai, dou a mal hea dei Bixl". Der Student griff in die Hose, nahm das Fläschchen mit dem "UHU-Bazl" und reichte es dem Bergmann. Im trüben Licht ihrer Funzeln standen die drei um ihn herum. Sein Gegenüber roch an der Dose "raichng doudà wai a echta". Dann legte er sich eine Spur zwischen Zeige- und Mittelfinger und zog sie hinauf. Der Studiosus nahm die Dose wieder an sich und steckte sie in die Tasche.

Alle warteten gespannt, auf den Kommentar. Der Johann sagte erst einmal gar nichts, schnaufte tief mit dem Mund ein und riss die Augen auf. Dann kam ein Nießerer, dass die Lampen der Kameraden flackerten und die Spreißel in ihrem Licht glänzten. Das Wasser schoss ihm in die Augen und dann erleichterte er seine Nase mit seinem Daumen und zwei kräftigen Luftstößen. "Ja, leck mich doch, wos is denn des fiara Zeich?". Der Student tat unschuldig. Er habe halt etwas geübt und jetzt könne er auch eine Prise vertragen. Und um das zu bestätigen, zog er sich mit der Dose, die jeder sehen konnte, gleich noch eine hinein. Allgemeines Erstaunen, bis der (Rösl) Raisl-Gockl meinte "dou amal her, des gibts ja niat". Der Junge reichte ihm die Dose, aus der Hosentasche. Der Gockl löste den Stopsel. Den Kopf hin und her wiegend roch er an der Öffnung und befand, es sei Schnupftabak. Worauf er sich ebenfalls -schon etwas vorsichtiger- Tabak in den Fingerspalt streute, prüfend daran roch und sich dann ein Häufchen in jedes Nasenloch zog.

Die Wirkung war durchschlagend. Der Gockl schnappte nach Luft, nießte, fluchte und schleuderte das Zeug aus der Nase, ebenfalls mit Daumen und Zeigefinger, auf den Boden. Jetzt lachten die beiden anderen, während der Gockl nur meinte, „des git´s ja niat“. Dann nahm er sein Werkzeug, ging wortlos zur Ortsbrust und fing an zu arbeiten.

Auf dem Rückweg nach Schichtende sollen dann die drei Kameraden gerätselt haben, wie der Studi so ein Zeug schnupfen könne. Einer hat den "Bergbeflissenen", so hießen die Praktikanten, noch einmal herausgefordert. Dann soll ihm in der ganzen Grube niemand mehr eine Prise angeboten haben. Die Geschichte erzählt hat der Studi erst, so die alten Feuerhofer Oarzgrowa, als er am Etzmannsberg Steiger geworden war.


© Helmut Heinl 12/2020
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