Weg zur Arbeit - KulturAS, wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen

2024/2025
wo Kultur und Bergbau aufeinandertreffen
Sulzbach-Rosenberg/Feuerhof
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Helmut Heinl Autorenseite
"Leben in der Bergmannssiedlung"
Weg zur Arbeit, oft eine unglaubliche Leistung

Die Sulzbacher Gruben zahlten ihren Bergarbeitern relativ gute Löhne, verglichen mit Handwerksgesellen oder landwirtschaftlichen Helfern. Deswegen kamen die Arbeitskräfte, auch schon vor 1945, aus einem weiten Umkreis. Weil sich damals kaum einer ein Fahrrad leisten konnte, nahmen die Bergleute, neben der schweren Arbeit in der Grube, zusätzlich weite Fußwege in Kauf. Einer, der vielleicht den weitesten Weg zurücklegte, war der Maier Uller aus Königstein. Wenn er es mir nicht persönlich erzählt hätte, wie er täglich – bei jedem Wetter – zu Fuß den Weg von Königstein zur Grube Etzmannsberg lief, ich hätte das nicht geglaubt.

Motivation für den weiten Weg waren wohl die schlechten Verdienstmöglichkeiten in Königstein und Umgebung. Hinzu kam, Bergbau war den Königsteinern keinesfalls fremd. In Richtung Schnellersdorf, auf Neukirchen zu, lagen zahlreiche Farbgruben, die Arbeiter mit Bergbauerfahrung beschäftigten. Diese „Faagrower“ wurden aber bei Weitem nicht so gut bezahlt wie die Bergleute in den Eisenerzgruben.

Der Maier Uller jedenfalls lief und radelte 30 Jahre lang, von 1922  bis 1953, bei jedem Wetter täglich von Königstein in die Grube Etzmannsberg. Er erzählte, dass es noch einen Fischer Hartl gab, der ebenfalls 10 Jahre lang den weiten Weg auf sich nahm. Und es soll noch einen Verwandten vom Uller aus Königstein gegeben haben der ebenfalls viele Jahre diesen Weg mit dem Fahrrad zurücklegte.

Man muss sich einmal vorstellen: Abhängig von der Witterung benötigte der Uller etwa je drei Stunden für den Hin- und den Rückweg. Das waren täglich mindestens 6 Stunden Fußmarsch. Bei starkem Schneefall konnten es auch 8 Stunden werden. Das bedeutete, dass er spätesten um drei Uhr morgens losgehen musste, um pünktlich zu Schichtbeginn am Schacht zu sein. Die Strecke legte er im Winter mehr als die Hälfte in der Dunkelheit zurück, denn auch bei Schichtbeginn zur Früh– und Nachtschicht war es völlig finster. Wenn der Uller Mittagsschicht hatte, marschierte er im Herbst und Winter ebenfalls im Dunkeln zurück. Und was für eine Dunkelheit - Straßenbeleuchtung gab es nirgends. Er sah höchstens einmal den Lichtschein eines Fensters. Durch die Waldstücke hatte er in der dunklen Jahreszeit oft Probleme überhaupt den Weg zu erkennen.

Für seinen Arbeitsweg gab es drei Varianten zwischen 15 und 18 km lang. Meistens lief er von Königstein über Windmühle. Fichtenhof, Edelsfeld und Rummersricht, auf der Straße entlang. Bei schönem Wetter nahm er den kürzesten Weg an Bernricht vorbei, über das „Katzenthal“ herunter nach Gassenhof, ein absolut einsames Wegstück, durch dichten Wald. Ging er über den Hahnenkamm, das ist der Höhenzug von Fromberg nach Bernricht, führte ihn sein Weg am Bildbaum vorbei. Der war bei schlechtem Wetter für ihn eine Orientierung, dass er sich nicht verlaufen hatte.

Ängstlich war er also überhaupt nicht, der Maier Uller. Auf dem Heimweg nach der Mittagsschicht nahm er sogar manchmal den Weg durch das sagenumwobene Peutental, das schon bei etwas trübem Wetter eng und düster wirkt.

Bei starkem Schneefall lief der Bergmann meistens über Fichtenhof, Oberreinbach bis Röckenricht und dann auf den Bahngleisen entlang bis zum Bahnhof Großalbershof. Das war zwar verboten, aber geräumte Straßen gab es nicht und auf den Schwellen der Bahntrasse lag weniger Schnee. In Großalbershof verließ er die Schienen und marschierte über die Brücke bei Forsthof nach Rummersricht, zur Grube Etzmannsberg. An solchen Tagen brach er auch schon mal um zwei Uhr in Königstein auf, um rechtzeitig zum Schichtbeginn an der Grube zu sein. Nur ausnahmsweise, wenn es einmal gar zu stark stürmte, blieb er bei Verwandten in Sulzbach über Nacht. Dort schlief er auf dem Sofa in der Küche.

Manche Bauern richteten sich, nach seinen Worten, mit der Uhrzeit nach ihm: „Jetzt ist es 12 Uhr, der Bergmann geht vorbei“.
Später kaufte sich der langjährige Fußgänger dann doch ein gebrauchtes Fahrrad. Da war er dann nur mehr 1 ¼ bis 1 ½ Stunden unterwegs. Allerdings, so hat er mir erzählt, brauchte er jede Menge Reifen. Da es auf der Strecke nur Schotterstraßen gab, war das Rad flicken an der Tagesordnung.

Auch sein Verwandter, Rudolf Maier, fuhr täglich mit dem Rad ins Bergwerk. Seine Tochter hat mir erzählt, dass er an kalten Wintertagen oft heimkam und erst einmal seine Filzschuhe auftauen musste, damit er sie ausziehen konnte – heute völlig unvorstellbar.

Neunstündige Schichten, 6 Stunden Fußweg, oder drei Stunden bei jedem Wetter mit dem Fahrrad - Jahrzehnte lang - eigentlich sind das fast übermenschliche Leistungen. Dem Maier Uller hat es nicht geschadet. Noch im hohen Alter war er geistig rege und vergnügt und oft blitzte bei unserem Gespräch im Jahr 1984 der Schalk in ihm auf. Der Uller war ein Mann vom alten Schlag, dem nichts zu viel war und der sich vor nichts fürchtete.

Natürlich waren die neunstündigen Schichten damals nicht so von Arbeitsdruck bestimmt. Bis zum Zweiten Weltkrieg ging es noch geruhsam zu, unter Tage. Die Arbeit war hart, aber Stress gab es nicht, außer bei Unglücksfällen und Wassereinbrüchen. Wer sein Gedinge erfüllt hatte, war für die Schicht fertig, das galt für die Allermeisten unter Tage. Wenn der Steiger den Abbau schon besichtigt hatte, musste man nicht mehr mit ihm rechnen. Die Kameraden zogen sich dann an einen trockenen Ort zurück, aßen etwas, oder machten ein Nickerchen. Rechtzeitig vor Schichtende wurden die Schlafenden geweckt und die Gruppe machte sich dann auf den Weg zum Schacht, um gemeinsam aufzufahren. Von dort gingen die einen 500 Meter zum Feuerhof, der Uller 17 km nach Königstein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden erstmals Busverbindungen für die Beschäftigten der Maxhütte und des Bergwerks eingesetzt. Vom früheren Ober- und Sicherheitssteiger in Auerbach Martin Nägele weiß ich, dass bereits 1951 ein Werksbus von Königstein bis zur Maxhütte fuhr, für alle drei Schichten. Eine Haltestelle war beim Gasthaus Heldrich in Forsthof.
Martin Nägele erzählte: „Eines Tages wartete dort ein neues Gesicht  zur Fahrt in die Grube Caroline. Es stellte sich heraus, dass es der Bergmann Georg Schöner von Silbergrub war (ca. 1,5 km südöstlich von Weissenberg). Jeden Tag ging er von dort nach Riglashof und dann weiter am Bahngleis (Strecke Neukirchen – Weiden) nach Großalbershof. Hier nahm er dann die Straße zur Haltestelle Forsthof. Seine Gehzeit für die einfache Wegstrecke (rd. 5 km) betrug etwa 1 Stunde, bei Schnee deutlich mehr.

Neben seiner Arbeit auf der Grube bewirtschaftete er eine kleine Landwirtschaft. Nebenbei war er Brandmetzger und musste für Frau und sieben Kinder sorgen. Eine für die heutige Zeit unglaubliche körperliche Leistung. Der 2015 verstorbene Bergmann war 1931 geboren und wurde fast 84 Jahre alt.

„ Sicher waren es noch viel mehr Bergmänner, die weite Strecken zu Fuß in die Bergwerke zurücklegten. Ihr Leben, ihre Wege hat niemand festgehalten. Die Erinnerung daran ist inzwischen auch in den Familien fast vergessen. „

© Helmut Heinl 2021

Geobasisdaten: Bayerische Vermessungsverwaltung Nr. 1910-1776
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